
Anmerkung der Redaktion:
Zuvor in dieser Serie: „Wohlstandsevangelium – geboren in den USA“ (Russell Woodbridge). Das Folgende ist eine bearbeitete Version eines Artikels, der ursprünglich im „9Marks Journal* über das Wohlstandsevangelium erschien.
Vor mehr als einem Jahrhundert sagte Charles Spurgeon in einer Rede vor der damals grössten Gemeinde der ganzen Christenheit: „Ich glaube, dass es für jeden Christen antichristlich und unheilig ist, mit dem Ziel zu leben, Reichtum anzuhäufen. Ihr werdet sagen: ‚Sollen wir uns nicht bemühen, so viel Geld zu bekommen, wie wir können?‘ Ihr mögt das tun. Ich kann nicht bezweifeln, dass ihr damit der Sache Gottes einen Dienst erweist. Aber was ich sagte, war, dass es antichristlich ist, mit dem Ziel zu leben, Reichtum anzuhäufen.“
Im Laufe der Jahre hat sich jedoch die Botschaft, die in einigen der grössten Kirchen der Welt gepredigt wird, verändert – tatsächlich wird heute in vielen Gemeinden ein neues Evangelium gelehrt. Diese Botschaft hat viele Namen erhalten, wie z.B. das „benenne es und beanspruche es“-Evangelium, das „sag es und nimm es“ Evangelium, das „Gesundheits- und Wohlstandsevangelium“, das „Reichtungs-Evangelium“ und die „positive Bekenntnistheologie“.
Egal, welcher Name verwendet wird, die Essenz dieser Botschaft ist dieselbe. Einfach ausgedrückt, lehrt dieses „Wohlstandsevangelium“, dass Gott möchte, dass die Gläubigen körperlich gesund, materiell wohlhabend und persönlich glücklich sind. Hör dir die Worte von Robert Tilton an, einem der bekanntesten Vertreter dieser Lehre:
„Ich glaube, dass es der Wille Gottes ist, dass es allen gut geht, weil ich es im Wort sehe, nicht weil es bei jemand anderem mächtig funktioniert hat. Ich richte meine Augen nicht auf Menschen, sondern auf Gott, der mir die Kraft gibt, Wohlstand zu erlangen.“
Die Lehrer des Wohlstandsevangeliums ermutigen ihre Anhänger, um materiellen Wohlstand zu beten und diesen sogar von Gott zu fordern.
Fünf theologische Irrtümer
Russell Woodbridge und ich haben ein Buch mit dem Titel „Gesundheit, Reichtum und Glücklichsein: Hat das Wohlstandsevangelium das Evangelium von Christus überschattet?“ (Kregel, 2010), um die Behauptungen der Verfechter des Wohlstandsevangeliums zu untersuchen. Obwohl das Buch zu umfangreich ist, um es hier zusammenzufassen, möchte ich in diesem Artikel fünf Lehren besprechen, die darin behandelt werden – Lehren, bei denen die Befürworter des Wohlstandsevangeliums sich irren. Ich hoffe, dass du die Gefahren des Wohlstandsevangeliums klar erkennen wirst, wenn du diese Irrtümer in Bezug auf die wichtigsten Lehren erkennst.
- Der abrahamische Bund ist ein Mittel zur materiellen Berechtigung.
Der abrahamische Bund (Gen. 12, 15, 17, 22) ist eine der theologischen Grundlagen des Wohlstandsevangeliums. Es ist gut, dass Wohlstandstheologen anerkennen, dass ein grosser Teil der Schrift die Aufzeichnung der Erfüllung des abrahamischen Bundes ist, aber es ist schlecht, dass sie keine orthodoxe Sicht dieses Bundes aufrechterhalten. Sie sehen den Beginn des Bundes falsch; noch wichtiger ist, dass sie die Anwendung des Bundes falsch sehen.
In seinem Buch „Ausbreitung der Flamme“ (Zondervan, 1992) hat Edward Pousson die Wohlstandssicht auf die Anwendung des abrahamischen Bundes dargelegt: „Christen sind Abrahams geistliche Kinder und Erben der Segnungen des Glaubens. . . . Dieses abrahamische Erbe wird vor allem in Form von materiellen Ansprüchen ausgepackt.“ Mit anderen Worten: Das Wohlstandsevangelium lehrt, dass der primäre Zweck des abrahamischen Bundes darin bestand, dass Gott Abraham materiell segnet. Da die Gläubigen nun Abrahams geistliche Kinder sind, haben wir diese finanziellen Segnungen geerbt. Wie Kenneth Copeland in seinem Buch „Die Gesetze des Wohlstands“ (1974) schrieb: „Da Gottes Bund errichtet worden ist und Wohlstand eine Bestimmung dieses Bundes ist, müssen Sie erkennen, dass der Wohlstand jetzt Ihnen gehört!“
Um diese Behauptung zu untermauern, berufen sich Wohlstandslehrer auf Galater 3,14, der sich auf „die Segnungen Abrahams [bezieht], die auf die Heiden in Christus Jesus kommen.“ Es ist jedoch interessant, dass diese Lehrer in ihren Berufungen auf Galater 3,14 die zweite Hälfte des Verses ignorieren: „damit wir die Verheissung des Geistes durch den Glauben empfangen.“ Paulus erinnert die Galater eindeutig an den geistlichen Segen der Errettung, nicht an den materiellen Segen des Reichtums.
- Die Sühne Jesu erstreckt sich auf die „Sünde“ der materiellen Armut.
In seinem Bibliotheca Sacra-Artikel „A Theological Evaluation of the Prosperity Gospel“ (Eine theologische Bewertung des Wohlstandsevangeliums) beobachtet der Theologe Ken Sarles, wie das Wohlstandsevangelium behauptet, dass „sowohl körperliche Heilung als auch finanzieller Wohlstand durch das Sühnopfer vorgesehen sind.“ Das scheint eine zutreffende Beobachtung zu sein angesichts der Aussage von Copeland, dass „das Grundprinzip des christlichen Lebens darin besteht zu wissen, dass Gott unsere Sünde, Krankheit, Kummer, Trauer und Armut auf Jesus auf Golgatha gelegt hat.“ Dieses Missverständnis über den Umfang des Sühneopfers rührt von zwei Fehlern her, die die Befürworter des Wohlstandsevangeliums machen.
Erstens haben viele, die die Wohlstandstheologie vertreten, ein grundlegend falsches Verständnis vom Leben Jesu. Zum Beispiel verkündete der Lehrer John Avanzini in einer TBN-Sendung, Jesus habe „ein schönes Haus“ gehabt, „ein grosses Haus“, „Jesus hatte mit viel Geld zu tun“, und er habe sogar „Designer-Kleidung getragen.“ Es ist leicht zu erkennen, wie eine solch verzerrte Sicht des Lebens Christi zu einer ebenso verzerrten Fehlvorstellung vom Tod Christi führen kann.
Ein zweiter Fehler, der zu einer fehlerhaften Sicht des Sühneopfers führt, ist die Fehlinterpretation von 2. Korinther 8,9, wo es heisst: „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er zwar reich war, aber um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich werdet.“ Während man bei einer oberflächlichen Auslegung dieses Verses glauben könnte, dass Paulus über eine Vermehrung des materiellen Reichtums lehrte, offenbart eine kontextbezogene Interpretation, dass er eigentlich genau das gegenteilige Prinzip lehrte. In der Tat lehrte Paulus die Korinther, dass sie, da Christus durch das Sühnopfer so viel für sie vollbracht hat, ihren Reichtum im Dienst für den Erlöser ablegen sollten. Deshalb fordert Paulus nur fünf kurze Verse später die Korinther auf, ihren Reichtum an ihre bedürftigen Brüder zu verschenken, indem er schreibt, „damit jetzt zu dieser Zeit euer Überfluss ihren Mangel deckt“ (2Kor 8,14).
- Christen geben, um eine materielle Entschädigung von Gott zu erhalten.
Eines der auffälligsten Merkmale der Wohlstandstheologen ist ihre scheinbare Fixierung auf den Akt des Gebens. Wir werden aufgefordert, grosszügig zu geben und werden mit frommen Aussagen konfrontiert wie: „Wahrer Wohlstand ist die Fähigkeit, Gottes Kraft zu nutzen, um die Bedürfnisse der Menschheit in jedem Lebensbereich zu erfüllen“ und „Wir sind berufen, der Welt das Evangelium zu finanzieren.“ Während solche Aussagen lobenswert erscheinen mögen, beruht diese Betonung des Gebens auf Motiven, die alles andere als philanthropisch sind. Die treibende Kraft hinter dieser Lehre des Gebens ist das, was der Wohlstandslehrer Robert Tilton als das „Gesetz der Kompensation“ bezeichnet hat. Diesem Gesetz zufolge – das angeblich auf Markus 10,30 basiert – sollen Christen anderen grosszügig geben, weil Gott im Gegenzug mehr zurückgibt, wenn sie das tun. Das wiederum führt zu einem Kreislauf von immer grösser werdendem Wohlstand.
Wie Gloria Copeland es in ihrem 2012 erschienenen Buch „Gottes Wille ist Wohlstand“ ausdrückt: „Geben Sie 10 Dollar und Sie erhalten 1.000 Dollar; geben Sie 1.000 Dollar und Sie erhalten 100.000 Dollar. . . . Kurz gesagt: Markus 10,30 ist ein sehr gutes Geschäft.“ Es ist also offensichtlich, dass die Spendenlehre des Wohlstandsevangeliums auf fehlerhaften Motiven aufgebaut ist. Während Jesus seine Jünger lehrte, „zu geben und nichts dafür zu erwarten“ (Lukas 6,35), lehren Wohlstandstheologen ihre Jünger zu geben, weil sie eine grosse Gegenleistung erhalten werden.
- Der Glaube ist eine selbst erzeugte geistige Kraft, die zu Wohlstand führt.
Während das orthodoxe Christentum den Glauben als Vertrauen in die Person Jesu Christi versteht, vertreten Wohlstandslehrer etwas ganz anderes. „Glaube ist eine geistige Kraft, eine geistige Energie, eine geistige Macht. Es ist diese Kraft des Glaubens, die die Gesetze der geistigen Welt zum Funktionieren bringt“, schreibt Copeland in “ Die Gesetze des Wohlstands“. „Es gibt bestimmte Gesetze des Wohlstands, die in Gottes Wort offenbart sind. Der Glaube bringt sie zum Funktionieren.“ Dies ist offensichtlich ein fehlerhaftes, vielleicht sogar ketzerisches Verständnis von Glauben.
Nach der Wohlstandstheologie ist der Glaube nicht ein von Gott gewollter, auf Gott ausgerichteter Willensakt. Vielmehr ist er eine menschlich geschaffene, auf Gott gerichtete geistliche Kraft. In der Tat muss jede Theologie, die den Glauben hauptsächlich als Mittel zum materiellen Gewinn und nicht als Rechtfertigung vor Gott betrachtet, bestenfalls als unzureichend beurteilt werden.
- Das Gebet ist ein Werkzeug, um Gott zu drängen, Wohlstand zu gewähren.
Prediger des Wohlstandsevangeliums stellen oft fest, dass wir „nicht haben, weil wir nicht bitten“ (Jakobus 4,2). Sie ermutigen uns, für persönlichen Erfolg in allen Bereichen des Lebens zu beten. Wie Creflo Dollar schreibt: „Wenn wir beten und glauben, dass wir das, worum wir beten, bereits erhalten haben, hat Gott keine andere Wahl, als unsere Gebete zu erfüllen. . . . Das ist ein Schlüssel, um als Christ Ergebnisse zu erzielen.“
Gebete für persönlichen Segen sind natürlich nicht grundsätzlich falsch, aber die Überbetonung des Wohlstandsevangeliums auf den Menschen macht das Gebet zu einem Werkzeug, das Gläubige benutzen können, um Gott zu zwingen, ihre Wünsche zu erfüllen. Innerhalb der Wohlstandstheologie wird der Mensch – nicht Gott – zum Mittelpunkt des Gebets. Seltsamerweise ignorieren Wohlstandsprediger oft die zweite Hälfte von Jakobus‘ Lehre über das Gebet: „Ihr bittet und empfangt nicht, weil ihr zu Unrecht bittet, um es für eure Leidenschaften auszugeben“ (Jakobus 4,3). Gott erhört keine selbstsüchtigen Bitten, die seinen Namen nicht ehren.
Sicherlich sollten alle unsere Bitten Gott mitgeteilt werden (z.B. Phil. 4,6), aber das Wohlstandsevangelium konzentriert sich so sehr auf die Wünsche des Menschen, dass es Menschen dazu verleiten kann, selbstsüchtige, seichte, oberflächliche Gebete zu beten, die Gott nicht die Ehre bringen. Ausserdem kann diese Lehre, wenn sie mit der Wohlstandslehre des Glaubens gekoppelt ist, Menschen dazu verleiten, zu versuchen, Gott zu manipulieren, um zu bekommen, was sie wollen – ein vergebliches Unterfangen. Das ist weit davon entfernt, „Dein Wille geschehe“ zu beten.
Falsches Evangelium
Im Licht der Heiligen Schrift ist das Wohlstandsevangelium grundlegend fehlerhaft. Im Grunde ist es ein falsches Evangelium, weil es eine falsche Sicht der Beziehung zwischen Gott und Mensch hat. Einfach ausgedrückt: Wenn das Wohlstandsevangelium wahr ist, ist die Gnade überflüssig, Gott ist irrelevant und der Mensch ist das Mass aller Dinge. Ob sie über den abrahamischen Bund, das Sühnopfer, das Geben, den Glauben oder das Gebet sprechen, Wohlstandslehrer verwandeln die Beziehung zwischen Gott und Mensch in ein quid pro quo-Geschäft, auf Deutsch: der Mensch erwartet ein Gegengeschäft. Wie James Goff 1990 in einem Artikel in Christianity Today feststellte, wird Gott „auf eine Art ‚kosmischen Hotelpagen‘ reduziert, der sich um die Bedürfnisse und Wünsche seiner Schöpfung kümmert.“
Dies ist eine völlig unzureichende und unbiblische Sicht der Beziehung zwischen Gott und Mensch.
David W. Jones ist Professor für christliche Ethik und stellvertretender Dekan für die Verwaltung von Graduiertenprogrammen sowie Direktor des Th.M.-Programms am Southeastern Baptist Theological Seminary in Wake Forest, North Carolina. Er ist Mitautor mehrerer Bücher, darunter „Health, Wealth & Happiness: Has the Prosperity Gospel Overshadowed the Gospel of Christ?“ (Kregel, 2010).
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